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Die Assel und der Hefekloß

Ein trauriges Gedicht

In der Ofenecke sitzt
Fred, die Assel, schweigt und schwitzt.
Dort mittig vor ihm weiß und groß
liegt sein Begehr: ein Hefekloß.

Den hat die Köchin mit den Worten:
"Viel lieber back ich Sahnetorten!"
in den Ofen manövriert
und war hernach davonmarschiert.

Fred sieht die dralle Magd entweichen
und beginnt sogleich zu schleichen
erst langsam, schließlich forsch, dann keck
geradewegs zu dem Gebäck.

Auf halbem Wege bleibt er stehen,
um sich noch einmal umzusehen.
Schließlich weiß man nie, und auch
ist es ja bei Köchen Brauch,
plötzlich unerwartet ihren
Backvorgang zu kontrollieren.

Jedoch, die Luft erscheint ihm rein.
Drum hebt er wiederum ein Bein
und nacheinander auch die andern,
um weiter Richtung Klops zu wandern.

Doch der Weg ist weit, oh je!
Schon tun ihm die Füßchen weh,
ferner auch ist ihm sehr heiß,
und jeder Asselkenner weiß,
dass diese Tierchen sich in kühlen
Räumen weitaus wohler fühlen.

"Diese Affenhitze hier
grad für ein so kleines Tier
ist gemein!", denkt er sodann
und fängt sogar zu weinen an.

Doch kriecht er weiter, Stück für Stück,
mal Blick nach vorn, mal Blick zurück.
Doch jeweils kaum ein Deut gelaufen
muss immer länger er verschnaufen,
bis schließlich so viel Zeit entweicht,
dass grad als er den Kloß erreicht
(den Tod schon wähnend, matt, entstellt)
die Köchin in die Küche schnellt,
die Klappe aufreißt und mit Kraft
das Backwerk aus dem Ofen rafft.
"Potzdonner, nein!", ruft Fred im Nu,
doch seht, schon fällt sie wieder zu.

Die Dinge nehmen ihren Lauf.
(Ich schreib sie nur sehr ungern auf,
denn das, was mit dem Klops geschieht,
macht mir Riesenappetit.
Das andre aber weckt in mir
Mitleid mit dem Asseltier.)

Die Köchin wird den Kloß servieren,
die Assel jämmerlich krepieren!

Jan Kaiser

taz Nr. 6470 vom 14.6.2001, Seite 20, 66 Zeilen (Dokumentation), Jan Kaiser,  Gedicht